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26 August 2013 @ Bertil Muth

Ein Weg zur agilen Organisation

Dieser Eintrag ist Teil 1 von 5 in der Serie Ein Weg zur agilen Organisation

Ich denke, dass verschiedene typische Zustände einer Organisation beobachtet werden können, wenn sie sich auf dem Weg von einer traditionellen in eine agile Organisation befindet. Meine Meinung ist, dass jeder der folgenden Zustände einen substantiellen Fortschritt in Richtung einer agilen Organisation darstellt :

WegZurAgilenOrga

Bevor ich die Zustände vorstelle: was meine ich mit einer agilen Organisation? Ich meine damit eine Organisation, die kurzfristig auf unvorhergesehene Änderungen in der Organisationsumwelt (z.B. von Kundenbedürfnissen) oder in der Organisation selbst reagieren kann, indem sie  Produkte oder Dienstleistungen neu entwickelt oder bei mindestens gleichbleibender Qualität anpasst.

Das für eine agile Organisation wichtigste Mittel, um diese Anpassungsfähigkeit zu ermöglichen, ist die vertrauensvolle Zusammenarbeit von selbständig denkenden, motivierten und handelnden Menschen.

Nun zu den 4 Zuständen.

Zustand 1: Experimente. In einzelnen Teams wird der Rahmen für die Entwicklung festgelegt, zum Beispiel indem agile Frameworks wie Scrum oder Kanban eingeführt werden. Die Teams lernen, in diesem Rahmen in kurzen Zeitabständen mit neuen Entwicklungsaufgaben und -techniken zu experimentieren, sie also für begrenzte Zeit durchzuführen, die Ergebnisse zu beobachten, daraus zu lernen und sie gegebenenfalls anzupassen oder aufzugeben.

Zustand 2: Verinnerlichung. Die agilen Werte und Prinzipien werden von einigen Teams gelebt, für jedes dieser Teams gelten gewisse Bedingungen. Die Mitglieder des Teams haben gemeinsame Ziele verinnerlicht. Das Team beinhaltet alle Fähigkeiten, die zum Erreichen der Ziele notwendig sind, in der Softwareentwicklung zum Beispiel Führungsfähigkeiten, Programmierfähigkeiten, Testfähigkeiten etc.  Niemand hat die Autorität, einem Teammitglied konkrete Aufgaben zuzuweisen, sondern die Teammitglieder übernehmen selbständig Aufgaben. Für die Teammitglieder ist es selbstverständlich, in kurzen Zeitabständen neue oder geänderte Produkte oder Dienstleistungen zu entwickeln. Alle Teammitglieder fühlen sich verantwortlich für die Qualität des Produkts oder der Dienstleistung. Die Kommunikation innerhalb des Teams ist wertschätzend. Die Zusammenarbeit im Team basiert auf Vertrauen.

Zustand 3: Ausbreitung. Die Organisationsstruktur wird dahingehend überprüft, ob sie den agilen Werten und Prinzipien förderlich ist oder eher Reibungen verursacht. Abteilungsinterne Bewertungssysteme werden überprüft und geändert oder abgeschafft. Die Kommunikation zwischen den Abteilungen ist wertschätzend, man bemüht sich um eine gut funktionierende Zusammenarbeit. Wenn nötig werden Abteilungen neu strukturiert oder aufgelöst, um die Zusammenarbeit weiter zu verbessern. Jedem Mitarbeiter wird die Möglichkeit gegeben, Verbesserungsvorschläge einzubringen – die priorisiert und bearbeitet werden. Mehr und mehr Teams arbeiten agil.

Zustand 4: Agile Organisation. Fehler, die von den Teams und dem Management gemacht werden, werden offen kommuniziert – das wird möglich, weil in aller Regel keine individuelle Bestrafung erfolgt. Stattdessen werden aus den Fehlern Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet. Die mittel- und langfristige Planung im Management findet nur noch grob statt, und Planungszyklen für Feinplanungen sind kurz. Auf allen Ebenen der Organisation wird versucht, Verschwendung von Ressourcen zu vermeiden, ohne den Druck auf die Mitarbeiter zu erhöhen. Alle Teams, die Produkte oder Dienstleistungen entwickeln, arbeiten selbstorganisiert. Die Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern außerhalb der Teams und den Teams basiert auf Vertrauen, die Kommunikation ist wertschätzend.
Die Organisation ist agil.

Ich habe mich bei den Zuständen um eine typische Abfolge bemüht, in einer konkreten Organisation können die Zustände natürlich in anderer Reihenfolge als hier vorgestellt durchlaufen werden und andere Verhaltensweisen auftreten, und es gibt auch Rückschritte.

Nicht jede Organisation wird alle Zustände durchlaufen wollen, und nicht für jede Organisation ist es gleich wertvoll, in diesem Sinne agil zu werden. Ich denke allerdings, dass die Verhaltensweisen in jedem Zustand Vorteile für Organisationen bringen können, und dass mit dem Erreichen eines neuen Zustands  Hindernisse auf dem Weg zu einer agilen Organisation beseitigt werden.

Mit diesen Themen werde ich mich in zukünftigen Blogbeiträgen beschäftigen.

Sind Sie selbst in einer Organisation, die agil werden will, und brauchen Sie Unterstützung ? Dann kontaktieren Sie uns.

 

 

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Diskussion

2 Antworten zu “Ein Weg zur agilen Organisation”

  1. Hier wird – wie leider allzu oft – von einer „agilen“ Organisation gesprochen ohne zu klären, was damit gemeint ist. So sehe ich diese Ausprägungen von „agil“ :
    o Flexibilität und Adaptivität mittels „Empirical Process Control“ stellt die kur-zen Iterationen verbunden mit einem fortlaufenden Anpassen und Lernen ins Zentrum und reicht in der SW-Entwicklung zurück in die 1970er-Jahre.
    o Flexibilität und Adaptivität (Empirical Process Control) plus „Lean Manage-ment Principles“ ergänzt diese Sichtweise um die vom „Toyota Way“ begrün-deten Prinzipien des Lean Management.
    o Eine weitere Ausprägung umfasst zusätzlich noch etliche Praktiken und „Glaubenssätze“ der Organisationsgestaltung der letzten Jahrzehnte geprägt von post-tayloristischen, hierarchie- und autoritätsfreien, partizipativen, selbst-steuernd-kollaborativen und systemischen Konzepten.
    o Aspekte zur Sicherung der Überlebens- und Entwicklungsfähigkeit bilden eine weitere Gruppe jener Ausprägungen von „agil“ die unabhängig vom „Empirical Process Control“ sozialen Systemen i.a. dienen können.

    Diese Auslegeordnung zeigt, dass der Begriff „agil“ so vieldeutig ist, das er stets einer zum jeweiligen Kontext passenden Präzisierung bedarf. Eigentlich sollte daher auf den Gebrauch dieses Begriffes verzichtet werden und statt dessen von dem gesprochen werden, was jeweils konkret gemeint ist.

    Da Unternehmen nebst der – allenfalls inkrementell-adaptiv (etwa auf Basis von Scrum) gestaltbaren – Entwicklung und Realisierung von Produkten auch viele Prozesse ohne Produktcharakter (wie etwa das Personalwesen) umfassen, kann dort unter agil nicht primär das inkrementell-adaptive Vorgehen verstanden werden sondern diverse post-tayloristische, hierarchie- und autoritätsfreie und selbststeuernd-kollaborative Prinzipien und Überzeugungen . Oder die oben als 4. Punkt genannten allgemeinen Aspekte zur Sicherung der Überlebens- und Entwicklungsfähigkeit. Der im Blog erwähnte „Zustand 1“ (Experimente. In einzelnen Teams wird der Rahmen für die Entwicklung festgelegt, zum Beispiel indem agile Frameworks wie Scrum oder Kanban eingeführt werden) macht auf der Ebene einer Organisation insgesamt also keinen Sinn.

    Wenn unter „agil“ jedoch „nur“ die allgemeinen Aspekte zur Sicherung der Überlebens- und Entwicklungsfähigkeit gemeint werden (weil das inkrementell-adaptive Vorgehen als generelles Vorgehensprinzip in Organisationen schlichtweg nicht passt) dann sind das in der Organisationsentwicklung schon lange bekannte und diskutierte Ideen. Einige davon wurden – allerdings in vergleichsweise wenigen Fällen – erfolgreich umgesetzt. Vielfach zitierte Beispiele sind u. a. SEMCO und die Morning Star Company Inc.. Weitere Fälle, die man heute als agil bezeichnen würde, finden sich z.B. in Radatz, Sonja: Evolutionäres Management: Antworten auf die Management- und Führungsherausforderungen im 21. Jahrhundert. Verlag Systemisches Management, 2003.

    Mehr dazu übrigens hier: http://fg-wi-vm.gi.de/veranstaltung0/workshops/vorgehensmodelle-2013/referenten-und-abstracts/hans-peter-korn.html

    • Vielen Dank, Herr Korn, für Ihre Ergänzungen.

      Ihre Eingangsbemerkung, eine Definition des Begriffs
      „Agile Organisation“ würde fehlen, ist nicht zutreffend.
      Ich schrieb: „Ich meine damit eine Organisation, die kurzfristig auf unvorhergesehene Änderungen in der Organisationsumwelt (z.B. von Kundenbedürfnissen) oder in der Organisation selbst reagieren kann, indem sie Produkte oder Dienstleistungen neu entwickelt oder bei mindestens gleichbleibender Qualität anpasst.“

      Diese Definition habe ich bewusst sehr kurz gehalten.
      Sie mit Leben zu füllen wird Aufgabe meiner zukünftigen Blogbeiträge
      zu diesem Thema sein.

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Bertil Muth arbeitet als Agiler Coach, Scrum Master und Trainer. Mit Leidenschaft setzt er sich für konstruktive Zusammenarbeit, dezentralisierte Entscheidungsfindung und technische Exzellenz in der Produktentwicklung ein.

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