Agil durch den Zufall: Mit rollierender KI-Planung den Projektalltag meistern
„Ein Plan ist nichts, Planung ist alles.“ Dieses bekannte Zitat von Dwight D. Eisenhower hat in meinem Projekt eine ganz neue Bedeutung gewonnen. Ich hatte gerade meinen Projektplan aktualisiert, da rief ein Kollege an: dringende andere Aufgaben hätten höchste Priorität und er stehe erst in zwei Wochen wieder zur Verfügung. Noch ehe ich darüber grübeln konnte, meldete sich der Kunde und forderte, unsere Testphase um zwei Wochen vorzuziehen. Mein sorgfältig ausgearbeiteter Plan war innerhalb von fünf Minuten nur noch ein Scherbenhaufen.
Resignation? Nein! Ich erinnerte mich an den wahren Schatz jeder erfolgreichen Projektarbeit – den flexiblen Planungsprozess. Zwei Anrufe bei den Testmitarbeitern, der Verzicht auf neue Features und eine pragmatische Verschiebung des Zeitplans reichten, um die neuen Anforderungen zu erfüllen. Es war nicht der analytisch ausgeklügelte Plan, der mich rettete, sondern das agile Umdenken in Echtzeit.
Wenn wir den Blick vom Tagesgeschäft auf das große Ganze richten, sehen wir, dass Planung nicht bei einem vorgefassten Plan stehenbleiben darf. Die Planung des Produkt-Portfolios hat vor allem das Ziel, innovative Ideen in das Softwareprodukt einfließen zu lassen – und zwar in dem Maße, wie es die Rahmenbedingungen (Erfahrungen, Kompetenzen, Verfügbarkeit, Auslastung, Abhängigkeiten, … – im Team) der Entwicklungsorganisation zulassen. Strategische Überlegungen und ein systematischer Zugang zu den Informationen der Zielmärkte, Stakeholder und Kunden sind essenziell, um auf einer möglichst realistischen Basis zu arbeiten.
Wie kann nun die Planung konkret ausgestaltet werden? Zunächst legen wir einen überschaubaren Horizont von vier bis fünf Quartalen fest. Es werden keine Entscheidungen, sondern Planungshypothesen getroffen (Ebene Topic), denn je weiter die Planungen in der Zukunft liegen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Hypothesen durch sich ändernde Rahmenbedingungen, Bedürfnisse und Anforderungen in Frage gestellt werden. Um stets ausreichend Spielraum für Innovation, Reaktion auf Marktveränderungen und unvorhergesehene Ereignisse zu bewahren, folgt unsere Portfolio-Planung einer vierstufigen Kaskade (Stufe 1: Topic, Stufe 2: Requirement, Stufe 3: Epic und Stufe 4: Story) Selbstverständlich sind die Bezeichnungen der Planungs-Items austauschbar, wichtig ist die dahinterliegende Systematik.

Strategisch Ebene
Wir beginnen mit einer groben Beschreibung aller Ziele für das kommenden Jahr. Jedes Topic erhält ein Ranking nach strategischer Relevanz und erwartetem Aufwand in groben Einheiten wie bspw. T-Shirt Size. Dann wählen wir aus, welche Topics im nächsten Quartal umgesetzt werden sollen. Für alle, auch unten beschriebenen Planungs-Items gelten die Prinzipien des Backlogmanagements. Je weiter die Topics in der Zukunft liegen, desto weniger Lösungsdetails werden erarbeitet. Nur die Topics des nächsten Quartals müssen eine, für ein gutes Commitment, ausreichende Qualität haben. Die gleichen Regeln gelten auch für das Planungs-Item Requirement. Hier unterscheidet sich der Planungszeitraum. Idealerweise sind nur die Requirements erhoben, die in den nächsten drei Quartalen umgesetzt werden sollen. Eine für ein Commitment ausreichende Qualität ist bis 3 Wochen vor Umsetzung notwendig. Auch hier könnte noch mit T-Shirt Size geschätzt werden. Typischerweise wären Topics eher große Großen und Requirements eher kleine Größen. In diesem Planungsansatz werden die beiden ersten Stufen teamübergreifend erarbeitet und geschätzt – Experten aus den Teams werden typischerweise einbezogen, wenn hohe Risiken oder Abhängigkeiten erwartet werden. Diese teamübergreifende Sicht kann in einer Entwicklungsorganisation eine Domäne, ein Solution Center, Gesamtsystem etc. sein. Die Organisation ist somit in der Lage, bestenfalls bis 3 Wochen vor Implementierung, Änderungen relativ leicht zu ermöglichen.
Operative Ebene
Für die Planung der Entwicklungsteams sind die Items Epic und Story vorgesehen. Epics greifen dabei die Themen aus den Requirements der strategischen Planung auf, die das Team in den nächsten 2-3 Sprints/Iterationen abarbeiten soll. Aus den Epics werden für die Spints/Iterationen Stories abgeleitet, die bis zur Sprintplanung alle Readyness-Kriterien erfüllen müssen (DoR). Beide Planungs-Items werden in agilen Arbeitsmodellen mit Story Points geschätzt. In klassischen Setups sind auch Personentage mit einer kleinsten Größe von halben Tagen möglich.
Sicherheit durch vermeintliche Genauigkeit
Stundengenaue Schätzungen haben sich aus meiner langjährigen Erfahrung gesamtunternehmerisch nicht bewährt – sie kosten definitiv mehr als sie nutzen. Wenn die Schätzeinheit zu feingranular ist, überwiegen die Nachteile, die diese Einheit mit sich bringt. Die stundegenaue Schätzung der Arbeit von Wissensarbeitern in der Produktentwicklung gehören zu diesen feingranularen Einheiten – sie erhöhen nur den Planungsaufwand, ohne die Qualität der Schätzung zu verbessern. – Gerade im neuen Zeitalter der KI kann sich jeder von uns Fragen – gehöre ich zu einer durch Digitalisierung und KI gefährdeten Berufsgruppe? Wenn Du Deine Arbeit zuverlässig für die nächsten zwei Wochen stundengenau planen kannst, dann würde ich mir Gedanken machen.
KI-gestützte Echtzeit-Planung: Das Rückgrat agiler Produktportfolios
In der Praxis erweist sich künstliche Intelligenz als mächtiger Verbündeter, um die rollierende Kaskade noch reaktionsschneller und datengetriebener zu gestalten. KI erweitert die Planungsschleifen in Echtzeit und liefert fundierte Entscheidungshilfen in drei Kernbereichen.
Predictive Analytics & Szenario-Simulationen
KI-Modelle nutzen historische Projektdaten, Markttrends und weitere relevante Daten, um Prognosen zu erstellen, nicht nur für Zeit- und Kostenaufwände, sondern auch für Risikofaktoren und potenzielle Chancen. Statt einmal pro Quartal manuell „Was-wäre-wenn“-Szenarien durchzuspielen, ermöglicht Machine Learning die automatisierte Generierung und Bewertung von Hunderttausenden möglicher Zukunftsbilder. Änderungen in Testkapazitäten, Marktvolatilitäten oder Ressourcenzuweisungen werden Sekunden später quantitativ sichtbar. So kann das Team schnell die Auswirkungen von verschiedenen Ansätzen oder Varianten erkennen.
Dynamische Priorisierung & Ressourcen-Allokation
KI vergibt jedem Backlog-Item einen dynamischen Prioritätswert, abgeleitet aus Kriterien wie Kundennutzen, technischem Aufwand, Teamkapazitäten und externen Einflüssen (z. B. gesetzliche Anforderungen oder saisonale Verkaufsspitzen). Das System schlägt auf Basis dieser Werte konkrete Umverteilungen von Entwicklern, Testressourcen oder Marketing-Budget vor. Eine interaktive Visualisierung zeigt, wie jede Allokationsänderung den Gesamtfortschritt, die Kostenstruktur und die Time-to-Market beeinflusst. So entsteht eine fundierte Diskussionsgrundlage für den Product Owner und das Developer-Team.
KI-gestützte Zusammenarbeit & Feedback-Automatisierung
Intelligente Chatbots und virtuelle Assistenten integrieren sich nahtlos in Tools wie Slack, Microsoft Teams oder Jira. Sie erinnern Stakeholder automatisiert an anstehende Review-Aufgaben, sammeln Feedback in Kanälen und analysieren Meeting-Protokolle mit Sentiment-Analysen. Treten wiederholt Unklarheiten in den Anforderungsbeschreibungen auf, schlägt die KI konkrete Formulierungen vor. Standardreports und Statusupdates werden automatisch erstellt und verteilt, sodass sich das Team auf inhaltliche Entscheidungen konzentrieren kann.
Praxis-Einstieg in vier Schritten
1. Datenbasis etablieren
Sammle bestehende Kennzahlen zu Durchlaufzeiten, Fehlerdichte und Kundenzufriedenheit. Integriere zusätzlich historische Projektdaten, Markttrends und weitere relevante Daten aus verschiedenen Systemen. Wähle dann ein passendes KI-Modell oder entwickle ein eigenes, das diese Daten automatisiert verarbeitet.
2. Pilotprojekt starten
Wähle eine überschaubare und möglichst abgegrenzte Produktlinie als Testfeld, um die neuen Möglichkeiten zu erproben, ohne zusätzliches Risiko für andere Produktlinien zu erzeugen.
3. Modular integrieren
Führe KI Unterstützung in den drei Kernbereichen nacheinander ein, um den organisatorischen Änderungsprozess zu entzerren. Zum Beispiel konzentriere dich erst auf die Szenario-Simulationen, führe dann dynamische Priorisierung und abschließend KI-Assistenten für die einfachere Zusammenarbeit ein. Die Reihenfolge hängt maßgeblich von deiner Organisation und der Komplexität der einzelnen Kernbereiche ab.
4. Kompetenz aufbauen
Schule das Team in der neuen Denkweise von rollierender Planung mit stetiger Überprüfung und Anpassung und der Integration der neuen KI Module.
Fazit
Planung bedeutet nicht das einmalige Erstellen eines feststehenden Plans, sondern ist ein fortwährender, lernender Prozess der Standortbestimmung und Anpassung. Eine Kaskade aus Backlog-Zielen, Produktvisionen und Features – ergänzt um KI-gestützte Analysen und Hilfen – schafft die Balance zwischen Detailtiefe und Flexibilität. So bleiben deine Projekte auch in turbulenten Zeiten steuerbar.
Und wenn Friedrich Dürrenmatt mahnt: „Je planvoller der Mensch vorgeht, desto wirksamer trifft ihn der Zufall“, dann zeigen wir ihm, dass die beste Vorbereitung darin besteht, den Zufall nicht zu fürchten, sondern ihn als kreativen Impuls zu verstehen. Mit intelligenter, rollierender Planung meisterst du die Unwägbarkeiten – agil, datenbasiert und zukunftssicher.
Möchtest du mehr über rollierende Planung erfahren und wie KI konkret in deiner Organisation unterstützen kann? Dann melde dich gerne für ein unverbindliches Gespräch mit unseren Experten im Bereich Agilität, Organisationsentwicklung und KI-Services: https://www.hood-group.com/beratung
Dieser Blogbeitrag wurde von Jens Donig für HOOD geschrieben.
Jens Donig
Kontaktieren Sie Jens DonigJens Donig ist systemischer Coach (dvct) und Principal Consultant für Software- und Systems- Engineering. Die Schwerpunkte seiner Coaching- und Beratungstätigkeit liegen in den Bereichen Organisationsentwicklung, Teamentwicklung und der persönlichen Entwicklung seiner Kunden. Seit mehreren Jahren beschäftigt er sich mich intensiv mit der nachhaltigen Verankerung von Veränderungsprozessen in Organisationen verschiedener Branchen. Auf Basis des systemischen Coachings, von Transformationsprozessen und agiler Werte und Prinzipien, begleitet er seine Kunden erfolgreich auf ihrem persönlichen Weg der Weiterentwicklung und Veränderung.
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