KI: Zwischen heißer Luft und echtem Nutzen
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29 September 2021 @ Michael Jastram

KI: Zwischen heißer Luft und echtem Nutzen

Um gleich provokant einzusteigen: Der Einsatz von KI kann zwar Nutzen bringen, doch zur Zeit sehen wir auch viel heiße Luft. Das bedeutet nicht, dass heiße Luft nutzlos ist. Nur sollten wir in dem Fall das Produktentwicklungsteam nicht damit belasten.

In diesem Artikel geht es darum zu zeigen, wie Unternehmen von KI profitieren können, ohne die eigene Produktstrategie voll auf KI umzustellen zu müssen.

KI löst schwere Probleme

Es gibt Probleme, die ohne KI einfach nicht lösbar sind. Ein Beispiel dafür ist das autonome Fahren. Wie so oft ist Tesla wegweisend. Tesla kündigte kürzlich die Entwicklung eines KI-Trainingscomputers namens Dojo an. Wenn er fertiggestellt ist, wird Dojo einer der leistungsfähigsten Computer der Welt sein. Tesla benötigt Dojo, um die Trainingsdaten für das autonome Fahren (Videos) in ein KI-Modell umzuwandeln.

Wenige Leser dieses Blogs werden in diesen Dimensionen mithalten können, auch wenn gerade im Bereich autonomen Fahren in Deutschland zur Zeit viel passiert.

KI mit wenig Aufwand nutzen

Viele Ergebnisse im Bereich KI basieren auf quelloffenen Lösungen. Manche sind quasi direkt einsetzbar. Daher liegt es für viele Unternehmen nahe, nach Einsatzmöglichkeiten Ausschau zu halten. Das ist sinnvoll und die großen Spieler, wie Google, Microsoft und Facebook, machen das auch vor. Ein gutes Beispiel ist die Unterstützung beim Schreiben von Dokumenten und E-Mails, die kontextbasiert Vorschläge macht, wie im folgenden Screenshot zu sehen:

Ist das nützlich? Ja, aber nur wenn die Vorschläge passen und nicht nerven. Würden Kunden Geld dafür bezahlen? Wahrscheinlich nicht. Hilft es, Kunden zu halten und neue Kunden zu gewinnen? Wahrscheinlich ja.

Unter diesem Gesichtspunkt sollte klar geprüft werden, ob der Einsatz von KI strategisch oder taktisch ist. Ein taktischer Einsatz von KI ist zur Zeit sogar sehr attraktiv: Denn durch kleine Verbesserungen und Komfortfunktionen werden Kunden gebunden. Das Marketing kann das Ganze leicht verwerten. Und wenn es richtig angegangen wird, belastet es die Produktentwicklungsabteilung kaum.

Wo beginnen?

Um nun punktuell KI einzusetzen, können Unternehmen auf zwei Wegen vorgehen: Entweder beginnen sie mit dem Produkt und überlegen sich, wo KI den Komfort verbessern oder einen Nutzen bringen könnten. Oder sie beginnen mit Aufgaben, die KI heute durchführen kann, und suchen nach Anwendungsmöglichkeiten im eigenen Produkt.

In der Praxis sollten wir natürlich beides tun und mehrere Schleifen im Zickzack zwischen KI-Möglichkeiten und Produktfeatures drehen. Doch Unternehmen, für die KI noch weitgehendst Neuland ist, empfiehlt es sich, bei KI-Aufgaben anzufangen. Schließlich fehlt oft der Überblick und das Verständnis von dem was KI überhaupt leisten kann.

Hugging Face: Datenbank von KI-Modellen

Es gibt im Internet viele Datenbanken von KI-Ressourcen. Im Folgenden stelle ich huggingface.co vor. Es handelt sich dabei um eine Community-Webseite für KI-Modelle. Besonders hilfreich ist, dass Besucher viele Modelle direkt auf der Webseite interaktiv ausprobieren können (auch ohne Anmeldung).

Um das Beispiel zu konkretisieren. Hugging Face hat eine eigene Seite für Modelle, die aktuell ca. 15.000 Modelle enthält (Stand August 2021). Filter helfen, sich hier zurechtzufinden. Ein guter Startpunkt sind die Tasks, von denen es zur Zeit lediglich 22 gibt:

Die Tasks bei Hugging Face ermöglichen, die Modelle zu filtern

Ebenso können wir nach Sprache filtern, denn ein Großteil der Modelle ist sprachspezifisch.

Um ein populäres Beispiel zu wählen, schauen wir uns “Text Generation” genauer an. Das schränkt die Auswahl bereits auf gut tausend Modelle ein. Die Voreinstellung ist die Sortierung nach Downloads und an erster Stelle erscheint GPT-2, mit über 1,5 Millionen Downloads. Pro Monat!

GPT: Zu gefährlich für die Welt?

Die von Google mitentwickelte Version 3 des Generative Pre-trained Transformers (GPT) ging kürzlich durch die Medien. Geleitet werden diese Aktivitäten allerdings von der gemeinnützigen OpenAI Inc.

Von GPT-3 geschriebene Texte sind kaum noch von welchen zu unterscheiden, die von Menschen verfasst wurden. Daher entschied sich OpenAI auch zunächst dafür, GTP-3 nicht zu veröffentlichen. Böse Zungen behaupten, dass damit die Kommerzialisierung gewährleistet werden sollte. Wie dem auch sei, die Leistungen von GTP-3 sind beeindruckend.

Hugging Face gibt uns immerhin Zugriff auf GTP-2. Auf der Hugging Face GTP-2-Seite finden wir eine Kurzbeschreibung, Quellcode und, wichtig, eine interaktive API.

GPT-2 ausprobieren

Über Hugging Face können wir Modelle denkbar einfach ausprobieren. Im Folgenden ein Screenshot von GPT-2 im Einsatz:

So funktioniert GTP-2 über Hugging Face. In der Textbox können wir einen Satz beginnen, GTP-2 führt den Satz dann weiter (grün unterlegter Text).

In Wirklichkeit hat GTP-2 viele Konfigurationsparameter und Möglichkeiten zur Anpassung. Dennoch ist diese einfache Schnittstelle sehr nützlich, um sich von den verschiedenen Modellen einen ersten Eindruck zu verschaffen.

Kostenlos und ohne Fallstricke

Aus der README des Quellcodes ist ersichtlich, dass GTP-2 die MIT-Lizenz anwendet. Das ist eine der freizügigsten Lizenzen, die für Software eingesetzt werden. Daher können Unternehmen GTP-2 ohne irgendwelche Sorgen kommerziell weiter verwerten.

Nutzen im eigenen Produkt

Um den Kreis zu schließen: In einem realen Unternehmen ermöglichen Datenbanken wie Hugging Face, ohne Programmierung verschiedene KI-Modelle auszuprobieren. Das hilft dem Produktteam, die Möglichkeiten von KI wesentlich besser zu verstehen. Es startet auch den kreativen Denkprozess, um nun die bestehenden Features besser im Kontext der Möglichkeiten zu analysieren.

Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig. Wenn das Produkt bspw. ein Adressbuch enthält, könnte das Team KI einsetzen, um den Nutzern die passende Kategorie für neue Einträge vorzuschlagen. Ein Thermostat könnte das Nutzerverhalten beobachten und Vorschläge für die Zeitschaltung machen. Ein App für die Bildverarbeitung könnte über Bildverarbeitung den Bildern Tags zuweisen.

Diese ganzen Beispiele zeigen, wie der taktische Einsatz von KI einen wahrnehmbaren Nutzen erzeugt. Keiner dieser Vorschläge würde eine Anpassung der Architektur verlangen. Die vorgeschlagenen Änderungen sind punktuell und vom Aufwand her relativ klein.

Vorsicht!

Zum Schluss noch ein Wort der Warnung. Weniger ist manchmal mehr. Anders gesagt, ein falsches oder schlechtes Ergebnis kann für Nutzer extrem irritierend sein. Dazu schrieb ich bereits in dem Artikel Die 11 Fallen im Machine Learning.

Dennoch – für Unternehmen ist jetzt die Zeit gekommen, sich über den Einsatz von KI Gedanken zu machen. Und es ist einfacher denn je. Nach einem taktischen Einsatz von KI zu suchen ist einfach und birgt wenig Risiken. Im schlimmsten Fall kommt nur etwas heiße Luft dabei heraus. Aber im besten Fall haben wir den Grundstein gelegt, um vom taktischen zum strategischen Einsatz von KI zu gelangen.

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Michael Jastram

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Unser Gastautor Michael Jastram ist Systems Engineer mit Leidenschaft und teilt aktuelle Entwicklungen, methodische Einblicke, Interviews und industrielle Fallstudien in seinem wöchentlichen Blog https://www.se-trends . Er entwickelt aktuell einen virtuellen Qualitätsassistenten, der mit KI einfache aber wichtige Aufgaben in der Produktentwicklung automatisiert – https://www.semiant.com