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29 October 2020 @ Frank Stöckel

Künstliche Intelligenz und Anforderungsmanagement

This entry is part 1 of 2 in the series KI und Anforderungsmanagement

Was hat “Künstliche Intelligenz” (KI) mit Anforderungsmanagement gemeinsam? Können sich die Themen ergänzen? In welcher Form können sie das? Oder können wir durch unsere Erfahrungen im Anforderungsmanagement im Bereich KI profitieren? Erste Gedanken nun im folgenden Blog…

Statistikwerte

Warum haben die Unternehmen noch nicht mit dem Thema “Künstliche Intelligenz” gestartet? Laut Umfrage-Statistik des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW) und Gemeinsam digital, das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Berlin von 2020, beantworten 414 Teilnehmer diese Frage wie folgt:

  • Noch nicht damit beschäftigt 18%
  • Fehlendes technisches Expertenwissen 12%
  • Fehlende finanzielle Mittel 13%
  • Keine Nutzwerte 19%
  • Furcht/Skepsis 1%
  • Fehlender Überblick über Anwendungsfälle 22%
  • Sonstiges 15%

Parallelen zum Anforderungsmanagement vor 30 Jahren

Betrachte ich diese Gründe, entdecke ich Parallelen zum Thema KI und dem Thema Anforderungsmanagement vor 30 Jahren. Damals war das Thema Anforderungsmanagement mit all seinen Möglichkeiten und Details bei vielen noch unbekannt.
Es gab wenig Experten in den Unternehmen.
Man war sich nicht klar, welchen konkreten Nutzen man davon hat.

Genau wie heute bei der KI fragten sich die Unternehmen: Wird sich der Einführungsaufwand lohnen?
Welche Konsequenzen hat die Einführung der Technologie in meinem Unternehmen bzw., was muss ich bei einer Einführung beachten?

Fiel die Antwort zugunsten des Anforderungsmanagements aus, so wussten die Menschen auch damals noch nicht genau, wie sie das neue Thema nachhaltig in einem Unternehmen verankern können. Inzwischen haben wir mit dem Anforderungsmanagement viele Erfahrungen gemacht. Wir haben dabei viel gelernt und sehen insbesondere bei dem Thema Verankerungen bzw. Etablierung von KI viele Synergien zum Thema nachhaltiges Anforderungsmanagement bzw. auch agile Transformation.

Mögliche Beiträge des Anforderungsmanagements

Nun fragen Sie: Was haben wir aus der Einführung des Anforderungsmanagements gelernt?
Und wie kann das Thema KI zielführend in einem Unternehmen etabliert werden?
Interessant ist für mich auch die Frage, wie wir aus der Sicht eines (agilen) Anforderungsmanagements oder agilen Vorgehensweisen das Thema KI unterstützen können.

Den Begriff Anforderungsmanagement verwende ich im Folgenden auch für agile Vorgehensmodelle wie auch agiles Anforderungsmanagement.

Beispiele, wie sich Anforderungsmanagement und KI gegenseitig unterstützen:

1. Anforderungsmanagement kann mit seinen Methoden bzw. Vorgehensmodellen helfen KI-Projekte effizient und zielgerichtet durchzuführen (Themen: Scope, Stakeholder, Erhebung, Dokumentation Backlog, Kanban, Design-Thinking etc.).

2. Innerhalb des Anforderungsmanagements kann KI als Technologie eingesetzt werden (z. B. in der Unterstützung von Qualitätssicherungsmaßnahmen bei textuellen Anforderungen).

3. Anforderungsmanagement kann mit seinen vielen Erhebungsmethoden helfen, den sogenannten Anwendungsfall, oder eine relevante Fragestellung zu finden, die mit einer KI-Lösung beantwortet werden kann.

4. Herangehensweisen, wie man Anforderungsmanagement nachhaltig in einem Unternehmen verankert, können auch eingesetzt werden, um die KI-Technologie als eine mögliche Lösung in einem Unternehmen oder im Rahmen einer Produktentwicklung einzusetzen. (Stichwort: Nachhaltiges Anforderungsmanagement, Agile Transformation, Digitale Transformation etc.).

Es folgt nun eine kleine Exkursion zum Punkt 3.

KI wird hier eingesetzt, um eine konkrete Fragestellung oder ein Ziel zu erheben, das mit KI mit einer höheren Qualität und effizienter als bisher erfüllt werden kann. Oder auch erst mit KI grundsätzlich beantwortet werden kann. Dies wird im Folgenden auch Anwendungsfall genannt.

Die Vorbereitung

Der Betreiber von Gleisanlagen für Zugsysteme führt Wartungen von Weichen durch. Er macht das nach einem definierten Wartungsplan, der auf langjährigen Erfahrungen und vorher definierten Kriterien (wie z. B. Alter der Weiche, letzte Wartung etc.) basiert.
Der Wartungsplan wird von mehreren Mitarbeitern einer Abteilung durchgeführt. Der Aufwand dieser Planungs- und Wartungsarbeiten ist sehr hoch. Trotzdem fallen viele Weichen aus.

Die Idee ist nun, mit KI einen Algorithmus zu entwickeln, der mit geeigneten vorliegenden Daten entscheidet, welche Weiche als nächstes gewartet werden muss. Diese Vorgehensweise nennt man “Predictive maintenance”.

Beim Erheben eines Anwendungsfalls fokussieren wir ausschließlich auf den Weg vom Problem aus. Wir schauen nicht erstmal, welche Daten wir haben, und überlegen, was wir mit diesen Daten machen könnten. Denn diese Denkweise wäre ja vergleichbar mit „Ich kaufe mir jetzt mal ein Anforderungsmanagement-Programm und schaue mir dann an, was ich damit machen kann“.
Es macht mehr Sinn, darüber nachzudenken, wie wir grundsätzlich vorgehen möchten. Darauf basierend stellen wir eine Toollandschaft zusammen und nicht andersherum.

Schließlich soll KI nicht zum reinen Selbstzweck implementiert werden. Das kann passieren, wenn wir einen Anwendungsfall aus Daten, anstatt aus Zielen ermitteln.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten einen zielführenden Anwendungsfall zu finden. Das Anforderungsmanagement bietet einen Blumenstrauß von Erhebungsmethoden. Das können beispielsweise Fragetechniken, Brainstorming, Beobachtungstechniken, Kreativitätstechniken sein.

Eine Möglichkeit zur Erhebung eines KI–Anwendungsfalles

Wir haben zunächst eine Liste von vielen potenziellen oder bereits umgesetzten KI-Anwendungsfällen erstellt. Mit der Kategorisierung der Anwendungsfälle in Klassen, bringen wir Licht ins Dunkel. Wir klassifizieren die Anwendungsfälle nach “Branche”, „Abteilung“ und „Nutzwert“. 

Folgende Nutzwerte haben wir bisher identifiziert: Geschwindigkeit, Kostensenkung, Marktdifferenzierung, personelle Entlastung, Safety, Security, Qualität und / oder Gesundheit.

Basierend auf diesen Klassifizierungen überlegen wir, wie eine geeignete Erhebungsmethode für diesen Anwendungsfall aussehen würde. Wir möchten herausfinden, wie wir die Erhebungsmethoden auf den konkreten Kontext anpassen können.

Dazu ein Beispiel:

Hier nun unsere ersten Ideen für die Erhebungsmethode:

  • Identifikation von Kostentreibern im Unternehmen / Bereich
  • Faktoren-Analyse (Welche Rollen im Unternehmen / Bereich / Abteilung verursachen signifikante Kosten?)
  • Hinterfragen von bisherigen Vorgehensweisen / Plänen (oder Wartungsplan löschen siehe Goldenberg-Methode) / Ersetzen durch eine Liste (Backlog) von den nächsten zu wartenden Weichen.

Aus diesem konkreten Fall heraus können diese Fragen helfen:

  • Welche Rollen in Ihrem Unternehmen, die einfache und wiederkehrende Tätigkeiten durchführen, stellen einen signifikanten Kostenaspekt dar?
  • Welche erfahrungsbasierte, wiederkehrende und wichtige bzw. kritische Entscheidungen müssen in Ihrem Unternehmen getroffen werden?  
  • Welche Qualitätsprobleme in Ihrem Unternehmen führen zu hohen Kosten bzw. führen zu kritischen Problemen?
  • Was sind die Ursachen dafür, dass wichtige Unternehmensziele derzeit nicht erreicht werden?
  • Wo können in Ihrer Wertschöpfungskette Menschen zu Schaden kommen?
  • Wo können Menschen in Ihrer Wertschöpfungskette großen Schaden anrichten?

Wir sind gerade dabei, diese Frageliste weiterzuentwickeln. Darauf basierend werden wir weitere Ideen entwickeln, die dann Unternehmen bei der Einführung von KI helfen können. Also bleibt dran. Bald folgen weitere Blogbeiträge zum Thema “Künstliche Intelligenz”.

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Frank Stöckel

Kontaktieren Sie Frank Stöckel

Herr Frank Stöckel ist als Principal Consultant im Bereich Requirements Engineering (RE) tätig. Seine Schwerpunkte liegen in der Einführung von Requirements Engineering in Entwicklungsunternehmen mit Hilfe von Assessments, Seminaren, Workshops und Coaching. Fokus hierbei stellen wichtige initiale Pilotprojekte dar, die dann in unternehmensweite Prozessverbesserungsmaßnahmen führen, um RE langfristig in Entwicklungsunternehmen zu etablieren. Herr Stöckel führt Werkzeugauswahlverfahren für RM Tools durch, erarbeitet Konzepte zur Realisierung und Einführung von DV-Lösungen unter Einbindung von Werkzeugen des gesamten Entwicklungsprozesses. Darüber hinaus hat er in den letzten Jahren insbesondere in der Automobilindustrie Produktivstellungen (Roll-Outs) sowie Prozessentwicklungen von Anforderungsmanagement inkl. angrenzenden Prozessdisziplinen wie Projekt- und Testmanagement, Änderungsmanagement, Systemmodellierung, Lieferantendatenaustausch etc. erfolgreich geleitet. Kenntnisse in Modellierungstechniken runden sein Profil ab. Als erfahrener Trainer gibt er sein vielfältiges Wissen weiter, z.B. auch als akkreditierter Trainer für den Kurs „Certified Professional Requirements Engineering - Foundation Level".