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10 September 2019 @ Vincent Ulbrich

Fixes that Fail – Wie kann ich Dinge kaputtreparieren? (Teil 1)

Vor einiger Zeit begegnete ich den Weiten des Social Media einem Meme (einem Bild mit Textunterlegung). Darauf war folgender Dialog zu lesen:

Vielleicht liegt es daran, dass wir diese Fähigkeit hierzulande besonders gut gemeistert haben. Vielleicht liegt es aber auch nur an unserer wundervollen Sprache, die es erlaubt, Worte mehr oder weniger beliebig (und beliebig lang) zusammenzusetzen

Im Englischen gibt es dafür auch einen Begriff, nur eben auf die spezielle englische Art: „Fixes that Fail“ (dt. „Lösungen, die schiefgehen/fehlschlagen“). Kurz und prägnant.

Menschliche Interaktionsschleifen

Wenn man sich mit systemischen Ansätzen beschäftigt, egal, ob im Bereich Coaching, Beratung, Therapie und Organisationsentwicklung, oder wenn es um technische Ansätze geht, die menschliches Verhalten modellieren: Früher oder später stößt man immer auf diesen Archetypus menschlicher Interaktion (mit anderen Menschen oder mit der Welt selbst).

Ein klassisches, einfaches Beispiel menschlicher Interaktion stammt von Paul Watzlawick:
Der Mann ist still. Seine Frau fängt an, zu nörgeln, weil ihr Mann so still ist. Daraufhin zieht sich der Mann noch weiter zurück, was – man ahnt es schon – die Frau dazu veranlasst, noch mehr zu nörgeln, wodurch sich der Mann mehr zurückzieht usw.

Bei derartigen Interaktionsschleifen ist es weitestgehend zwecklos, nach der „Ursache“ zu suchen. Beide beteiligte halten das Problem aufrecht. Sobald einer sein Verhalten ändern, verändert der andere sein Verhalten höchstwahrscheinlich auch.
Dass vor allem der systemische Ansatz derartige Schleifen oder „Feedback Loops“ sichtbar macht, hängt damit zusammen, dass man hier danach schaut, inwiefern sich Interaktionen über die Zeit entwickeln und inwiefern sich das Ergebnis einer Handlung auf die Handlung selbst auswirkt.

Der Kobra-Effekt

Der Terminus „Fixes that Fail“ stammt – zumindest, soweit ich ihn zurückverfolgen kann – von Peter Senge. Andere systemische Archetypen, die im Grunde Variationen davon sind, lauten „Short-term fix, long-term problem“ oder „Addiction Pattern“.

Ein anderes, klassisches Beispiel dafür, was eher mit dem Management und dem Lösen komplexer Probleme zu tun hat, kommt aus der Kolonialzeit, als Indien von den Briten besetzt war. Bombay hatte ein Problem mit einer zu hohen Kobra-Population. Die Briten fanden eine einfache Lösung: Wer einen Kobra-Kopf brachte, wurde mit einer gewissen Geldsumme entlohnt. So wurde potenziell die gesamte Bevölkerung zu Kobra-Jägern.

Ein einfacher, linearer Mechanismus, möchte man meinen: 
Incentives --> mehr Kobra-Jäger --> weniger Kobras --> Problem gelöst.

Schauen wir uns nun aber an, welchen weiteren Effekt der Lösungsversuch – die Kobrakopf-Prämie – hatte: Wenn man Geld mit Kobra-Köpfen verdienen kann, dann wäre es, so schlussfolgerten einige findige Leute, egal, woher diese Kobras kämen. Man müsste sie nicht erst jagen (zumal der Bestand fürs Jagen ja begrenzt ist). Man könnte die Kobras ja auch selbst züchten.
Gesagt, getan.
Natürlich blieb der britischen Kolonialregierung dies nicht lange verborgen. Auch hier fand sie wieder eine einfache Lösung: Die Kopfprämie wurde gestrichen. Eine einfache Sache:

Keine Kopfprämie --> keine Kobrazüchter --> Kein
Missbrauch der Kopfprämie --> Problem gelöst.

Nun stelle man sich vor: eine ganze Reihe von Leuten, die in ihren Käfigen daheim Kobras gezüchtet haben, um sich eine Kopfprämie zu holen, haben nun keinen Anlass mehr, Kobras zu züchten. Was sollen sie also mit den Kobras tun? Richtig: Man setzt sie aus.
Das Ergebnis: Mehr Kobras als vor der Kopfprämie. Ein klarer Fall von „Verschlimmbesserung.“

Alternative Lösungen

Fairerweise muss man sagen:  Es ist nicht immer einfach, zu erkennen, welche Folgen scheinbar routinemäßige Entscheidungen haben. Erfahrungsgemäß würde ich gerade bei Incentivierungen dazu raten, sich zumindest ein wenig in die Personen hineinzuversetzen, deren Handlungen man zu steuern versucht.

Die Briten wären vielleicht auf die Idee gekommen, die Kopfprämie nur für einen begrenzten Zeitraum anzubieten, so dass die Zucht von Kobras nicht möglich gewesen wäre. Wäre das Problem bestehen geblieben, könnte man – möglichst spontan – weitere solcher Perioden ansetzen. In jedem Fall könnte sich niemand mittels einer heimischen Kobra-Zucht auf solch einen Fall vorbereiten, da einfach nicht klar ist, wie lange die Kobras daheim versorgt werden müssten, ehe es eine Kopfprämie für sie gibt.
Ein anderer Punkt wäre, die Prämie nicht so hoch anzusetzen, dass sich eine Zucht lohnen würde.

Die Briten begingen gleich einen doppelten Fehler, indem sie die Prämie direkt ersatzlos strichen, als der Missbrauch klar wurde. Auch hier hätte ein Zeitfenster dafür gesorgt, dass alle Kobrazüchter ihre Kobras hätten abgeben können, ohne danach neue zu züchten. Auch auf diese Lösung bzw. auf der Problem der freigelassenen Kobras hätte man kommen können, wenn man sich die Mühe macht, die Auswirkungen der eigenen Handlungen jenseits des gewünschten Ergebnisses mitzudenken.

Fazit und Tipp

Wer auf diesem Wege keine neuen Erkenntnisse hat, dem sei angeraten, was in Ansätzen wie Agilität, Design Thinking und Systems Thinking / Systems Practice Usus ist: Man befrage den Nutzer bzw. Adressaten einer Lösung, wie sich diese oder jene Handlung auf seine Handlungen auswirken würden. Das ist einfach, effektiv, kostengünstig – und spart langfristig eine Menge Ärger.

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