Vorbereitet sein auf den digitalen Wandel
Die „Digitale Revolution“ hat begonnen, sie verspricht uns viel: Internet of Things, digitale Produktion und Industrie 4.0, autonome und vernetzte Systeme… Digitalisierung und digitale Technologien verändern unser Alltagsleben. Keiner weiß genau, wie unsere Welt am Ende dieser digitalen Revolution wirklich aussehen wird. Und vor allem: Welche sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen wird die Digitalisierung der Welt nach sich ziehen? Und können wir uns darauf vorbereiten?
Werfen wir kurz einen Blick in die industrielle Vergangenheit: Mit der Erfindung der Dampfmaschine begann im 18. Jahrhundert die industrielle Revolution. Die technologische Welt entwickelte sich in einem rasanten Tempo. Der technische Wandel hatte extreme wirtschaftliche und soziale Auswirkungen, der in weiten Teilen nicht zum Vorteil der Menschen war.
Inzwischen sind wir bei „Industrie 4.0“ angekommen, der sogenannten vierten industriellen Revolution, der „digitalen Revolution“. Können wir aus der Geschichte lernen? Können wir uns also vorbereiten, so dass neue technische Konzepte auch unsere Lebensqualität und unsere Gesellschaft von vorne herein nachhaltig verbessern? Und umgekehrt: Können wir jetzt schon zu technischen Entwicklungen beitragen, die auch die Gesellschaft und uns als Menschen voranbringen, nützen und nicht schaden?
Im Artikel „Digitalisierung ist eine Leerformel“ in der „Welt“ [1] erklärt der Kulturwissenschaftler Prof. Nico Stehr, dass wir allein mit Gestaltung von zukünftigen Technologien unsere Lebenswelt nicht zwingend positiv verändern werden. Von vielen Fachleuten wird der Verlust von vielen Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung befürchtet [2]. Die Hälfte der heutigen Arbeitsplätze und 40% der Top-500-Unternehmen sollen der digitalen Revolution zum Opfer fallen. Auch andere negative soziale Konsequenzen drohen. Erfolgsprinzipien der Vergangenheit werden allmählich nicht mehr gelten [3], [4]. Z.B. scheint es, dass Nutzung künftig wichtiger sein wird als der Besitz. Firmen wie Uber, Airbnb etc. sind Vorzeigefirmen, die groß an der Börse sind, sie besitzen jedoch weder Taxis noch Hotels.
Prof. Nico Stehr spricht als Kulturwissenschaftler in seinem Artikel von vielen und „tückischen“ Problemen, die auf uns zukommen und im Prinzip unlösbar sind.
Es geht also nicht nur um zukünftige Technologien, sondern auch darum, wie wir dem gesellschaftlichen Wandel begegnen.
Dem gesellschaftlichen Wandel begegnen
Es geht darum, dass wir uns früh bewusst machen, dass der Technologiewandel stark mit dem gesellschaftlichen Wandel zusammenhängt.
Nicht nur Technik führt zu neuen sozialen Strukturen, sondern auch andersherum. Um neuartige Technik voranzubringen – und das ist ja die Herausforderung für uns als Ingenieure, Entwickler, Projektmanager und Firmenchefs – brauchen wir auch neue Strukturen und Herangehensweisen. Melvin E. Conway hatte 1968 schon festgestellt, dass die Strukturen einer Organisation bzw. Firma die Strukturen der umgesetzten und entwickelten Systeme stark bestimmen („Gesetz von Conway“).
Wenn also neue Technologien auch die sich neu entwickelnden, sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen einbinden, werden sie eher erfolgreich sein.
Wie können wir uns auf die digitale Revolution vorbereiten?
Eine wesentliche Eigenschaft der Digitalen Revolution besteht darin, dass immer mehr Information und Wissen vorhanden und verfügbar sind. Die Menge an Information und des Wissens wächst exponentiell. Es fällt uns schwer damit umzugehen, geschweige denn, diese Daten- und Wissensmassen wirklich zur Verbesserung unseres Alltags und unserer Gesellschaft zu nutzen. Das zeigen allein schon die Probleme mit Datenschutz. Viele Firmen arbeiten an technischen Lösungen für „Big Data“ und „Internet of Things“. Dies reicht meines Erachtens nicht aus. Hier müssen wir frühzeitig den Menschen einbinden.
„Ohne Wissensfähigkeiten keine erfolgreiche Digitalisierung“ [1]
Prof. Nico Stehr fordert in seinem Artikel auf, die sogenannten „Wissensfähigkeiten“ zu mobilisieren, um der Informationsflut Herr zu werden und damit wirklichen Mehrwert für Kultur, Demokratie und gesellschaftliche Solidarität zu generieren:
„Innovation und Wandel passiert dort, wo Wissensfähigkeiten
auf Wissen und Informationen angewandt werden,
wo es also vom Erkennen zum Können kommt.“ [1]
Wissensfähigkeit ist mehr als die Fähigkeit, aus Informationen Wissen zu kreieren und Wissen anwenden zu können. Prof. Nico Stehr zitiert folgende Beispiele für Wissensfähigkeiten:
- Befähigung, Ermessensspielräume auszunutzen
- die Möglichkeit, Schutz zu organisieren
- die Fähigkeit, zu kommunizieren
- die Fähigkeit, effektiv zu partizipieren
- das Können, mehrere, unter Umständen gegensätzliche Gesichtspunkte zu berücksichtigen
- die Fähigkeit, Widerstand zu mobilisieren
- die Fähigkeit, etwas zu vermeiden oder auszuschließen
- die Fertigkeit, neue und überzeugende Ideen oder Ansichten zu generieren
- die Befähigung, über das eigene Denken nachzudenken
- die Fähigkeit, Fehlschläge zu verkraften
- die Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen
Diese Fähigkeiten kann vorwiegend nur der Mensch übernehmen, nicht die (rein) technische Revolution. Denn nur mit solchen Kompetenzen lässt sich unser zukünftiges, digitales Leben meistern und positiv gestalten.
„Nicht Information, Wissen oder technische Fähigkeiten
sind deshalb in Zukunft entscheidend,
sondern Wissensfähigkeiten, die kulturellen und ökonomischen Mehrwert schaffen,
die Demokratie stützen und gesellschaftliche Solidarität fördern.“ [1]
Wenn man diese Beispiele für Wissensfähigkeiten näher betrachtet, kann man darin viele Prinzipien aus agilen Vorgehensweisen in der Entwicklung und Produktion entdecken.
Die Autoren des Agilen Manifests [5] zum Beispiel hatten schon 2001 erkannt, dass für eine erfolgreiche Entwicklung von komplexen Produkten es essentiell ist, die Handlungskompetenzen des Menschen zu fördern.
Untenstehende Tabelle zeigt die 12 agilen Prinzipien (in Schlagworten) aus dem agilen Manifest [5]. Die rechte Spalte zeigt dazu beispielhaft passende Wissensfähigkeiten aus obiger Liste, die im jeweiligen agilen Prinzip abgedeckt oder unterstützt werden:
Diese beispielhafte Zuordnung zeigt, dass die agilen Strömungen schon frühzeitig den Menschen in die Technologieentwicklung einbinden.
Die agile Transition versucht schon seit über einem Jahrzehnt solche Handlungskompetenzen zu propagieren, in den Unternehmen aufzubauen und zu leben. Es gibt zahlreiche Beispiele für die erfolgreiche Umsetzung dieser Prinzipien. Somit liegt die agile Transformation genau auf der Linie, die Prof. Nico Stehr propagiert.
In all unseren Projekten, in denen wir Kunden bei der Entwicklung von neuen Technologien unterstützen, sehen wir, dass es wesentlich wichtiger ist, den Fokus auf Werte und Prinzipien zu fördern und in den Unternehmen zu installieren, als nur die rein technischen und methodischen Lösungen. Wir sehen dies auch bei Projekten, die bewusst auf eine agile Transition des Unternehmens abzielen. Die Erfahrung zeigt immer wieder, dass es nicht zum Erfolg führt, z.B. allein Sprints, Retros, Dailys und ein Kan-Ban Board einzurichten. Diese Techniken sind sehr wertvoll, müssen aber unbedingt einhergehen mit der Weiterentwicklung von Werten, Prinzipien und den Wissensfähigkeiten der Menschen im Unternehmen.
Fazit
Aus der Geschichte haben wir gelernt, dass ein technologischer Wandel eine erhebliche Auswirkung auf die Gesellschaft, die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte haben wird. Wenn wir jetzt erkennen, dass wir frühzeitig an den „Wissensfähigkeiten“ unserer Gesellschaft arbeiten, können wir vielleicht beitragen, dass die digitale Revolution nicht nur technologisch vorankommt, sondern auch die Lebensqualität verbessert. Wir sehen, mit der agilen Transition sind wir dabei auf dem richtigen Weg.
Weiterführende Informationen auf unserer Webseite:
Wie Sie Ihre Agile Transformation erfolgreich gestalten
Warum Sie als agiles Unternehmen erfolgreicher sind
Literatur:
[1] Prof. Nico Stehr, „Digitalisierung ist eine Leerformel“, Die Welt, 28.08.2017, in https://www.welt.de/168045906 [Stand vom 14.09.2017]
[2] Prof. Dirk Helbing im Gespräch mit Nana Brink, in „Digitale Revolution: Jeder zweite Job ist in Gefahr“, Deutschlandfunk, 09.02.2016, in http://www.deutschlandfunkkultur.de/digitale-revolution-jeder-zweite-job-ist-in-gefahr.1008.de.html?dram:article_id=345027 [Stand vom 14.09.2017]
[3] Johan Schloemann, „Gefahren der Digitalisierung: Vom Untergang des autonomen Subjekts“, Süddeutsche Zeitung, 25.07.2017, in http://sz.de/1.3600029 [Stand vom 14.09.2017]
[4] Adam Greenfield, „Radical Technologies“, Verso Books, 2017
[5] Agiles Manifest, in http://agilemanifesto.org/iso/de/principles.html [Stand vom 14.09.2017]
Dr. Thaddäus Dorsch
Kontaktieren Sie Dr. Thaddäus DorschDr. Thaddäus Dorsch ist als Trainer, Berater und Coaching im Bereich Requirements Engineering und agiler Systementwicklung bei der HOOD Group tätig. Seine Schwerpunkte sind modernes Systems Engineering und effizienter Umgang mit Anforderungen, Vorbereitet sein auf den digitalen Wandel, sowie neu Ansätze in der Systemtheorie und die Kombination von klassischen und agilen Denkweisen und Techniken. Thaddäus Dorsch schöpft aus seiner langjähriger Erfahrung in der Systementwicklung in den verschiedensten Branchen wie Telekommunikation und Biotech, Automotive, Mobilfunk, Luft- und Raumfahrt, Verteidigung, Print und Multimedia.
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