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26 July 2016 @ Markus Eberhardt

Können mit den Organisationsstrukturen des Industrialisierungszeitalters die Herausforderungen der Informationsgesellschaft des Wissenszeitalters gemeistert werden?

This entry is part 1 of 4 in the series Agile Organisationsentwicklung

Während sich die Gesellschaft weiterentwickelt hat, folgen viele Organisationsstrukturen immer noch den Regeln der Industrialisierung [1]. Die Hauptproblemfelder, warum Projekten in diesem Umfeld scheitern, sind:

  • einseitige Verständigung statt Kommunikation,
  • mangelnde Entscheidungsfähigkeit statt Entscheidungen treffen,
  • mangelnde Transparenz statt Offenlegung der Entscheidungen etc. [2].

Im Blog „The Dumbest Idea In The World: Maximizing Shareholder Value“ [3] zitiert der Autor Steve Denning u.a. Roger L. Martin [4] und weist auf das wichtigste und meiner Meinung nach einzige wirkliche Ziel für Unternehmen hin: neue und erfolgreiche Kunden. Die Maximierung des Shareholder Values oder der Gewinne ist dann das Ergebnis dieser Anstrengung. So folgt für Unternehmen eine Balance der unterschiedlichen Interessen.

Conway’s Law

Conway’s Law besagt, dass Organisationen, die Systeme entwerfen, auf Entwürfe festgelegt sind, welche die Kommunikationsstrukturen dieser Organisationen abbilden. Studien belegen, wie zutreffend dieses Gesetz ist. Fatalerweise wird heute immer noch versucht, komplexe Systeme mit komplexen Organisationen zu entwickeln. Historische Beispiele für das Scheitern dieses Ansatzes gibt es genug [5]. Da in Zukunft durchaus mit einer weiteren Zunahme der Komplexität der Systeme zu rechnen ist, führt kein Weg an einem Umdenken vorbei.

Ein wichtiger Ansatzpunkt ist, durch geeignete Organisationsstrukturen zu einer Komplexitätsreduktion der zu entwickelnden Systeme beizutragen. Besonders bei firmenübergreifenden Aktivitäten bei komplexen Wertschöpfungsketten wird die Komplexität durch die existierenden Organisationsstrukturen zusätzlich getrieben. Conway’s Law wirkt sich hier besonders stark aus. Wegweisende Impulse kommen aus Agilen Frameworks wie z.B. Scrum [6], die stark auf die Selbstorganisation von Teams zielen. Diese Selbstorganisation hilft dabei, die Kommunikationsstrukturen zu minimieren, was gemäß Conway’s Law auch zu einer Reduktion der (internen) Schnittstellen führen und somit einen Beitrag zur Reduktion der Komplexität leisten sollte. In diesem Sinne ist auch das Prinzip 11 des Agilen Manifests zu verstehen, welches aussagt, dass die besten Architekturen, Anforderungen und Entwürfe durch selbstorganisierende Teams entstehen [7].

RE bei Produktentwicklung

Auch im Kontext selbstorganisierter Teams ist RE für die Entwicklung komplexer Produkte essentiell. Während traditionelle Vorgehensweisen stark phasenorientiert sind, stellt sich aber die Frage, wie RE selbstorganisierte Teams bei der Entwicklung geeignet unterstützen kann. Dies lässt sich gut anhand der drei Hauptaktivitäten des RE darstellen (siehe Tabelle 1) [8]:

Tabelle_RE-Agil
Tabelle 1: Vergleich Hauptaktivitäten des RE

 

Während bei traditionellen Vorgehensweisen die vollständige Spezifikation im Vordergrund steht, werden selbstorganisierende Teams von einer gemeinsamen Vision geleitet [9]. Diese Vision hilft den Teams dabei, den Blick auf das Wesentliche zu konzentrieren und die Anforderungen zu priorisieren [10].

Ein weiterer Unterschied ist, dass bei traditionellen Verfahren die Überprüfung der Spezifikation als Ganzes im Fokus steht. Bei selbstorganisierenden Teams geht es stattdessen um Kommunikation und schnelles Feedback durch ein zeitnahes Review des entwickelten Systeminkrements [6].

Komplexität der Produkte

Komplexer werdende Produkte fordern nicht nur die Entwickler, sondern auch die Organisation heraus. Die zunehmenden technischen Möglichkeiten stoßen traditionell geführte Organisationen an ihre Grenzen. Produktentwicklungen und Entscheidungen können nicht flexibel agieren. Komplexe Produkte führen im Umfeld dieser Organisationsstrukturen zu Kundenunzufriedenheit, Verzögerungen und enormen Kosten [2].

Betrachtet man die Kano-Klassifikation werden auch für traditionell geführte Organisationen schnell die Daumenschrauben angelegt. Die Kano-Klassifikation zeigt, dass Inflexibilität bei der Anforderungserfüllung schnell zu Problemen führt. Die Erfüllung der Basisfaktoren reicht nicht aus, um Kunden zufrieden zu stellen. Innovationen werden benötigt und werden durch Begeisterungsfaktoren erfüllt. Prioritäten der Anforderungen ändern sich im Laufe der Zeit. Was heute noch ein Begeisterungsfaktor ist, kann morgen bereits ein Basisfaktor sein [2].

Abbildung 1: Kano-Modell

Der Druck der sich ändernden Anforderungen innerhalb der Produktentwicklung kann nicht spurlos an den Organisationsstrukturen vorbei gehen.

Aber wie könnte eine zukunftsweisende Form der firmenübergreifenden Zusammenarbeit aussehen und welche Rolle spielt das Requirements Engineering hierbei. Mit dieser Fragestellung setzt sich z.B. das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des IKT2020 Programm geförderte Forschungsvorhaben autoSWIFT auseinander. Ziel dieses Projektvorhabens ist es, mit einer neuen gemeinsamen Methodik und entsprechender Infrastruktur die Zusammenarbeit innerhalb der Wertschöpfungskette signifikant zu verbessern, um innovative und hochqualitative Fahrzeugkomponenten auf Basis neuester Technologien der Mikroelektronik wesentlich früher und passgenauer als bisher marktreif bereitstellen zu können [11].

Aufruf zur Diskussion

In unserer heutigen Informationsgesellschaft müssen Organisationen deshalb flexibler reagieren. Es geht nicht mehr um Daseinsberechtigungen einzelner Managementpositionen und Mikroprojektplanungen der Produktentwicklung. Innovation kann nur dort entstehen, wo offene Geschäftsmodelle Kreativität und Ideen fördern, Entscheidungen frei getroffen werden und wo Aufwand für Innovationen als Investition in die Zukunft gesehen wird.

Es gibt viele mögliche Wege zur Weiterentwicklung der Organisationstrukturen. Aber welcher Weg ist der erfolgversprechendste? Darüber möchten wir gern mit Ihnen diskutieren.

Weitere Information:

OBJEKTspektrum RE  2016: Warum erfolgreiches RE von einer Weiterentwicklung der Organisationsform abhängt. Larissa Endriss und Markus Eberhardt

Literaturverzeichnis

[1]     N. Pfläging, Organisation für Komplexität – Wie Arbeit wieder lebendig wird und Höchstleistung entsteht, München: Redline Verlag, 2015.
[2]     HOOD GmbH, Certified Agile Requirements Specialist (CARS), Oberhaching, 2015.
[3]     S. Denning, „Forbes,“ [Online]. [Zugriff am Mai 2016].
[4]     R. L. Martin, Fixing the Game: Bubbles, Crashes, and What Capitalism Can Learn from the NFL, Harvard Business Review Press, 2011.
[5]     Wikipedia, „Gesetz von Conway,“ Wikipedia, 23 September 2015. [Online]. [Zugriff am 24 Mai 2016].
[6]     J. Sutherland und K. Schwaber, „Der Scrum Guide,“ Juli 2013. [Online]. [Zugriff am 11 Dezember 2015].
[7]     K. Beck, M. Beedle, A. van Bennekum, A. Cockburn, W. Cunningham, M. Fowler, J. Grenning, J. Highsmith, A. Hunt, R. Jeffries, J. Kern, B. Marick, R. C. Martin, S. Mellor, K. Schwaber, J. Sutherland und D. Thomas, „Manifest für Agile Softwareentwicklung,“ 2001. [Online]. [Zugriff am 11 Dezember 2015].
[8]     M. Eberhardt, „Die bewährten Praktiken des Requirements Engineering sind auch im agilen Umfeld wertvoll,“ HOOD GmbH, 11 August 2015. [Online]. [Zugriff am 24 Mai 2016].
[9]     P. Stolz, B. Muth und M. Eberhardt, „Vom „Big Picture“ zur Umsetzung,“ September 2015. [Online]. [Zugriff am 24 Mai 2016].
[10]     R. Pichler, „The Minimum Viable Product and the Minimal Marketable Product,“ Pichler Consulting, 19 Oktober 2013. [Online]. [Zugriff am 25 April 2016].
[11]     autoSWIFT Konsortium, „autoSWIFT – Schnellere Innovationszyklen für Elektroniksysteme entlang der Automobilwertschöpfungskette,“ [Online]. [Zugriff am 24 Mai 2016].

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Markus Eberhardt

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Markus Eberhardt ist seit 2011 bei der HOOD Group und spezialisiert auf Requirements Engineering und Management, mit einem besonderen Fokus auf den wertorientierten Einsatz bewährter Praktiken im agilen Umfeld. Neben seiner Beratungstätigkeit ist Markus Eberhardt auch in der Forschung aktiv, insbesondere im Bereich Requirements Engineering und Künstliche Intelligenz (KI). Er leitet das Teilvorhaben KI4RE im Rahmen des Forschungsvorhabens progressivKI. Sein breites methodisches Fundament wird durch Zertifizierungen des IREB, als Scrum Master, in SAFe und CARS untermauert. Er verfügt über umfangreiche Erfahrung in der Nutzung und Verwaltung von Anforderungen mit IBM Rational DOORS, sowohl aus der Perspektive des Anwenders als auch in der Administration. Sein Wissen teilt er in Workshops, Trainings und durch Coaching in Projektteams.