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11 February 2014 @ Christian Wünch

Requirements Engineering, Mobile Computing & die Cloud – Teil 3

This entry is part 3 of 3 in the series Mobiles Requirements Engineering

Im dritten und letzten Teil unserer Reihe zu den mobilen Einsatzmöglichkeiten im RE nehmen wir uns nochmal ein paar spezifischere Kategorien vor. Während im zweiten Teil viele Smartphone-Apps vorgestellt wurden, die man zur Kommunikation und Bewältigung eher allgemeiner Arbeitsaufgaben verwenden  kann, sollen an dieser Stelle einige Tools mit besonderer RE-Relevanz betrachtet werden.

Prototyping

Wer Teile seiner Systementwicklung häufig über Prototypen voranbringt und damit Nutzerfunktionalität, Ablauflogik oder lediglich die Bedienoberfläche seiner neuen Software abbilden möchte, sollte sich einmal Prototyping on Paper (POP) für iOS und Android ansehen. Dort liegt das Kernprinzip nämlich auf der Erstellung von Drahtgittermodellen bzw. Wireframes, um deren einzelne Elemente im Anschluss mit Interaktivität auszustatten und die einzelnen Frames für den Nutzer navigierbar zu machen.

Konkret bedeutet dies, dass die Wireframes und Bildschirmelemente gänzlich analog auf Papier oder Flipchart gezeichnet, anschließend in das Smartphone oder Tablet importiert und dort die einzelnen UI-Elemente der Frames selektierbar gemacht werden. Auch wenn POP in erster Linie aus Ihrem mobilen Gerät einen rudimentären Prototypen macht, kann die App natürlich genauso zur Simulation von Software als klassische Desktopprogramme verwendet werden.

Stakeholderbefragung

Falls Sie zur Sorte Analytiker gehören, die ihre Stakeholder gerne durch persönliche Interviews befragen, könnte folgende App interessant sein:

Interview Assistant ist eine Applikation zum Erstellen und Verwalten selbst durchgeführter Interviews für Apples iOS. Das Herzstück der App besteht darin, Interviewskripte individuell zu entwerfen. Über 250 Fragen sind dafür bereits vordefiniert. Fragentyp und Inhalte können natürlich selber erstellt werden. Zudem lassen sich Fotos und andere Daten mit einem Interview verknüpfen. Für jeden Interviewpartner kann zusätzlich ein eigenes Profil mit Informationen zu Person und Interviewtermin angelegt werden.

Man braucht also seine Fragen weder im Kopf haben noch muss man sie auf losen Zetteln umhertragen. Besonders sinnvoll ist der Interview Assistant bei spontanen Stakeholdergesprächen, bei denen außer für den Griff zum Smartphone nicht mehr viel Zeit bleibt.

Sprachaufnahme

Ein professionelles Diktiergerät hat auch zu Zeiten der Smartphone-Herrschaft noch seine Berechtigung. Bestimmten Berufsgruppen ist der Funktionsumfang, den ein Smartphone mitbringt, schlicht zu wenig. Mit der richtigen App kann man sein Gerät allerdings mit den wichtigsten Funktionen nachrüsten, um zumindest im RE-Bereich ausreichend mitdiktieren zu können.

Tape-a-Talk ist ein günstiges Tool für Android-Geräte und bietet neben den Grundfunktionen Aufnehmen und Abspielen auch ein Zurückspringen und Überschreiben einzelner Passagen. Das Aufnehmen fällt damit ähnlich leicht wie ein anschließendes Transkribieren. Außerdem lassen sich die physischen Tasten des Telefons belegen; damit wird es auch haptisch zu einem echten Diktiergerät.

Kreativitätstechniken

Das 6-Hut-Denken ist seit vielen Jahren eine in unzähligen Varianten angewandte Methode, eine Problemstellung aus unterschiedlichen Perspektiven heraus zu betrachten und dadurch neue Ideen und Strategien entwickeln zu können. Mit der Mini-Applikation 6 Thinking Hats ist diese bewährte Methode nun auch mit digitaler Unterstützung möglich. Im RE besonders zu Identifikation innovativer und kreativer Produktfeatures eingesetzt, hat man mit dieser völlig kostenlosen Android-App die Methode mit vielen Spielvarianten griffbereit in der Hosentasche. Einzelne Spielverläufe, z.B. in Workshops oder Anforderungs-Meetings, lassen sich somit bequem aufzeichnen und nachvollziehbar machen.

Storyboarding

Storyboarding, vor mehr als 50 Jahren von den Disney Studios eingeführt, kann mittlerweile seine Zweckmäßigkeit in vielen modernen Bereichen von Leben und Arbeit ausspielen, längst nicht nur beim Film. Das Prinzip der grafischen Erzählung bzw. des visual storytelling kommt auch in der IT-Industrie zum Tragen. Einmal beim Prototyping durch UI-Engineers, aber immer häufiger auch bei bildhaften Darstellungen von Nutzerszenarien oder Handlungsabläufen von Stakeholdern, also auch bei uns im RE.

Das Programm Paper wurde 2012 zur App des Jahres gewählt und bietet allerlei interessante Funktionen, nicht nur für Grafiker und Künstler. Die Bedienung erfolgt durch Touch-Eingabe per Hand oder idealerweise per Stift bzw. Stylus. Neben farbigen Handzeichnungen können auch Diagramme, Notizen und fachliche Illustrationen erstellt und in separaten Skizzenbüchern abgelegt werden. Dazu stehen unterschiedliche Brushes und Farben zur Verfügung.

Alternativen für Android-Nutzer wären z.B. Bamboo Paper, Storyboard Studio oder SketchBook Pro.

Wo liegen die Nachteile?

Die Betrachtung der Materie verlief bisher zugegebener Weise etwas einseitig, haben wir uns doch hauptsächlich die Vorteile der mobilen Bewegung herausgegriffen. Wie bei nahezu jedem Trend geht die Entwicklung aber auch immer mit gewissen Nachteilen einher, das ist auch beim Einsatz von mobilen Geräten im Requirements Engineering nicht anders. Wir haben unserer Meinung nach einmal die drei deutlichsten Nachteile herausgestellt:

  • Trennung von Arbeit und Beruf –  die Work-Life-Balance bzw. der Einzug beruflicher Praxis in die Privatsphäre ist eine Konsequenz, die in jedem Fall überlegt werden sollte.
  • Durch die Aufgleisung von Arbeitsgeräten geht auch eine gewisse Vereinzelung der Arbeitsdaten einher. Der Grundsatz einer gemeinsamen Datenhaltung, etwa durch ein Repository, muss stärker betrachtet werden als beim Einsatz von standortabhängigen Rechnern.
  • Die Nutzung mobiler Endgeräte stellt vor allem nach strikten Unternehmensrichtlinien eine nicht zu unterschätzende Gefährdung der Informationssicherheit  dar. Android, Windows Phone und auch iOS sind sehr anfällig für Schadsoftware. So hat sich das US-Verteidigungsministerium jüngst für die Anschaffung von 80 Tausend Blackberry-Smartphones für den Unternehmenseinsatz entschieden (Quelle: zdnet).

Diese Liste ließe sich wahrscheinlich um weitere individuelle Nachteile schnell erweitern. Letztendlich bleibt es einem selber überlassen, inwieweit man RE mobil betreiben möchte. Nutzungspotential ist in jedem Fall vorhanden und wird mit Sicherheit noch steigen.

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Christian Wünch

Kontaktieren Sie Christian Wünch

Christian Wünch ist Consultant, Trainer und Coach bei der HOOD Group. Er berät unterschiedlichste Branchen aus Wirtschaft und Industrie auf den Gebieten der Systemanalyse und des Requirements Engineering. Seine Schwerpunkte liegen in der Analyse und Verbesserung von Systementwicklungsprozessen, RE-Einführungsstrategien sowie Requirements Management. Neben regelmäßigen Vorträgen und Veröffentlichungen für Konferenzen und Fachpresse zum Thema RE beschäftigt er sich mit den Möglichkeiten der Formalisierung von Anforderungen und sucht nach Wegen, natürlichsprachige Anforderungen für Systeme und Menschen verständlicher zu machen.