Brust oder Keule?
Das kann eine entscheidende Frage eines Gastes im Restaurant oder des Kochs sein, bevor dieser sein Essen zubereitet. Ob nun Brust oder Keule, soll lieber der Gast, Kellner oder der Koch entscheiden bzw. dabei unterstützen – Ich möchte heute die Frage der Entscheidungsfindung behandeln, um geeignete Pilotprojekte auszuwählen. Pilotprojekte sind reale Entwicklungsprojekte in Unternehmen, in denen erstmalig Verbesserungen, z. B. mit dem Fokus auf Requirements Engineering, durchgeführt werden. Die Auswahl dieser Pilotprojekte war u. a. eine Fragestellung, die wir im Rahmen eines SuRE® (Sustainable Requirements Engineering) Workshops auf der diesjährigen Reconf 2013 in München behandelt hatten. Die Pilotierung stellt innerhalb der ersten Phase von SuRE die Generierung lokaler Optima in einzelnen Projekten dar, um Erkenntnisse für die darauffolgende Phase „Definition eines Unternehmensstandards“ zu gewinnen. Zur Unterstützung der Identifikation von Pilotprojekten haben wir differenziert zwischen dem ersten Piloten und Folge-Piloten, die im Rahmen dieser ersten SuRE Phase „Orientierung“ durchgeführt werden sollen.
Für die Entscheidungsfindung des 1. Piloten haben wir folgende Kriterien vorgeschlagen:
Scope
Anforderungsumfänge beschränken sich auf ein einzelnes Projekt
Größe
Team von ca. 5 bis 10 Personen mit möglichst unterschiedlichen Rollen im Umfeld des Anforderungsdefinitionsprozesses
Anf.-Ebenen
1 bis max. 3 Anforderungsebenen (bewährt haben sich zwei Ebenen)
Anf.-Menge
Nicht alle Anforderungen, sondern ausgewählte Datenumfänge, die den Vorteil von RE aufzeigen
Wichtigkeit
Kein kritisches oder technologisch wichtiges Projekt
Dringlichkeit
Kein zeitlich kritisches Projekt
Verfügbarkeit
Anwender müssen über ausreichend Zeit für die Verbesserungsmaßnahme verfügen dürfen (Prozessentwicklungszeit, Schulung, Coaching-Zeiten etc.)
Motivation
Grundsätzliche Bereitschaft und Interesse am Thema bei den Beteiligten. Insbesondere ist eine hohe Motivation bei den Power Usern (siehe auch Blog „Sustainable RE: Rollen, Aufgaben & Verantwortlichkeiten“) notwendig.
Zeitplan
Idealerweise zeitlich abgeschlossen, z.B. ein Lastenheft geht ein, das Pflichtenheft wird erstellt. Von einer Nachdokumenation bzw. einem Re-Engineering ist abzusehen, da hier der Nutzen im Projekt nur gering sein kann, da zunächst hoher Aufwand investiert werden muss.
Bei den weiteren Pilotierungen haben wir folgende Kriterien ergänzt, die berücksichtigt werden müssen:
Umfeld
Andere Abteilung / anderer Bereich
Anwender
Andere Personen als in den vorangegangen Pilotierungen
Kultur
Andere Kultur (agil, phasenorientiert, Wasserfall, etc.) als in den vorangegangenen Pilotierungen
Entwicklungsart
Entwicklungsart (z.B. Produktentwicklung / Auftragsentwicklung) variieren
Entw.-Gegenstand
Entwicklungsgegenstand (z.B. Hardware / Software / System) variieren
Bei den hier aufgeführten Kriterien sind wir davon ausgegangen, dass die Erkenntnisse aus jeder Pilotierung in die folgenden Pilotierungen eingebracht werden sollen (deshalb laufen die Pilotierungen sequentiell ab). Durch die Pilotierungen können Erkenntnisse gewonnen werden, um Aussagen treffen zu können, inwieweit es überhaupt einen oder auch mehrere Standards im Unternehmen geben kann und um auch lokale Optima in den einzelnen Pilotprojekten generieren zu können (RE bringt etwas!). Aufgrund dieser Aspekte kam es dazu, dass in der zweiten Kriterienliste Kriterien aufgeführt wurden, die die Folgeprojekte anders aussehen lassen als das erste Pilotprojekt. Dies geschieht, um ein möglichst breites Spektrum von Erkenntnissen gewinnen zu können. Nachteil der hier beschriebenen Aspekte ist, dass durch die sequenzielle Durchführung der Piloten entsprechende Laufzeiten gefordert sind. Vorteil ist, dass die Lerneffekte der folgenden Piloten sehr hoch sind und eine repräsentativere Sicht auf die Situation geschaffen wird. Dies ist wichtig für die eigentliche Standardisierungsphase im Unternehmen.
Zusammenfassend ist festzustellen, die für die erste Pilotierung die obengenannte Kriterienliste (erster Pilot) eine Entscheidungsgrundlage darstellt. Die Kriterien für die Folgepilotierungen hängen stark von den Zielen der Orientierungsphase ab, die dann die Kriterien beeinflussen. Mögliche Ziele der Orientierungsphase sind z. B.:
- Überzeugen der Mitarbeiter, dass RE sinnvoll ist und Nutzen generieren kann.
- Schaffung von Erkenntnissen, wie ein mögliches RE Vorgehen (Prozess, Methoden und Tool) in dem Unternehmen aussehen kann.
- Im Rahmen der Orientierungsphase muss untersucht werden, inwieweit eine Standardisierung im Unternehmen grundsätzlich möglich ist.
- Schaffung von konkretem Nutzen im Unternehmen.
- Aufzeigen, dass das bisher definierte Vorgehen im Unternehmen noch ausweitbar ist.
- Wenn im Unternehmen schon konkrete unterschiedliche Vorgehen definiert wurden, kann es Ziel sein, das beste Vorgehen zu identifizieren bzw. ein verbessertes Vorgehen zu entwickeln.
Selbstverständlich gibt es innerhalb einer Orientierung nicht nur ein Ziel, sondern es können mehrere Ziele mit unterschiedlichen Wichtigkeiten herrschen. Wir (HOOD) sind gerade dabei, diese Zusammenhänge näher zu untersuchen und werden in einem folgenden Blog die Erkenntnisse als Fortsetzung von diesem Blog erläutern.
Frank Stöckel
Kontaktieren Sie Frank StöckelHerr Frank Stöckel ist als Principal Consultant im Bereich Requirements Engineering (RE) tätig. Seine Schwerpunkte liegen in der Einführung von Requirements Engineering in Entwicklungsunternehmen mit Hilfe von Assessments, Seminaren, Workshops und Coaching. Fokus hierbei stellen wichtige initiale Pilotprojekte dar, die dann in unternehmensweite Prozessverbesserungsmaßnahmen führen, um RE langfristig in Entwicklungsunternehmen zu etablieren. Herr Stöckel führt Werkzeugauswahlverfahren für RM Tools durch, erarbeitet Konzepte zur Realisierung und Einführung von DV-Lösungen unter Einbindung von Werkzeugen des gesamten Entwicklungsprozesses. Darüber hinaus hat er in den letzten Jahren insbesondere in der Automobilindustrie Produktivstellungen (Roll-Outs) sowie Prozessentwicklungen von Anforderungsmanagement inkl. angrenzenden Prozessdisziplinen wie Projekt- und Testmanagement, Änderungsmanagement, Systemmodellierung, Lieferantendatenaustausch etc. erfolgreich geleitet. Kenntnisse in Modellierungstechniken runden sein Profil ab. Als erfahrener Trainer gibt er sein vielfältiges Wissen weiter, z.B. auch als akkreditierter Trainer für den Kurs „Certified Professional Requirements Engineering - Foundation Level".
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