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24 July 2012 @ Jan Ebert

Produktionsseitige Anforderungen, die Produktion als Stakeholder

Der richtige Umgang mit den relevanten Stakeholdern ist ein Erfolgsfaktor für Entwicklungsprojekte. Während Anforderungen von Kunden, Anwendern, Auftraggebern, Normen, Zulassungsstellen die erforderliche Aufmerksamkeit bekommen, ist der Umgang mit wichtigen unternehmensinternen Anforderungsquellen wie der eigenen Serviceorganisation oder auch der Produktion noch häufig stiefmütterlich. Um letztere soll es in diesem Beitrag gehen, ist doch die kostengünstige, umweltverträgliche, ausschussarme,  zeitgerechte, ressourcensparende, flexible, qualitativ hochwertige Produzierbarkeit durchaus kritisch. Damit diesbezügliche Ziele von der Produktion erreicht werden können, muss die Produktentwicklung die Anforderungen der Produktionsorganisation kennen und verstehen. Designentscheidungen der Systementwicklung sind maßgeblich für die spätere Produzierbarkeit.

Ursache für mangelhaftes Requirements-Management hinsichtlich bestimmter Anforderungsgeber ist häufig unzureichendes Wissen über die besonderen Eigenheiten des betreffenden Stakeholders.

Zwei Charakteristika fallen für die Produktionsorganisation besonders auf:

  1. Im Gegensatz zu Stakeholdern wie dem Gesetzgeber, Kunden, Anwendern, etc. ist es bei der Produktion weniger sinnvoll, von einem Auftraggeber-Auftragnehmer-Schema auszugehen. D.h. vom Kunden aufgestellte Requirements, deren Erfüllung dann von der Entwicklung (nur noch) nachgewiesen werden muss, ist hier nicht der richtige Denkansatz. Statt dessen sollte der Aspekt der Anforderungs-Verhandlung, des Kompromisses über Anforderungen in Trade-Offs im Vordergrund stehen. Denn die Produktion ist ja auch Anforderungsempfänger, Dienstleister und im weiteren Sinne Auftragnehmer der Entwicklung, der die Anforderungen der Entwicklung, also die Produktspezifikation, produktionstechnisch umzusetzen hat. Die Anforderungen der Produktion sind nie Selbstzweck, sind nicht kundensichtbar oder kundenerlebbar und nur selten imagerelevant oder unumstößlich. Sie dienen viel mehr nur indirekt dazu, Geschäftsziele wie Effizienz, im speziellen Kosteneffizienz umzusetzen. Qualitätsziele (z.B. Fertigungstoleranzen; Vermeidung von Ausschuss dient auch wieder der Kosteneffizienz) sind eigentlich Anforderungen an die Produktion, deren Umsetzung sich dann in den Anforderungen von der Produktion an die Entwicklung niederschlägt. Es stecken also durchaus problematische Zyklen / Rückkopplungsschleifen in den Anforderungs-Ableitungs-Ketten. Das sollte in der Herangehensweise an Anforderungen von Produktionsseite berücksichtigt werden.Stärker als bei Anforderungen, bei denen das Auftraggeber/Auftragnehmer-Schema passend ist, macht es bei Anforderungen von der Produktion einen Unterschied, ob die Produktion in der eigenen Organisation angesiedelt ist, oder ob man komplett oder teilweise extern produzieren lässt. Bei externer Produktion steht die Weiterentwicklung/Veränderung der Möglichkeiten in der Produktion weniger im Fokus, weswegen Anforderungen hier mehr Constraints sind. Harte Constraints von externen Produktionsanbietern, die im Konflikt mit den Zielen der Entwicklung stehen, sind ein wichtiges Entscheidungskriterium für die Auswahl des richtigen Produzenten oder Produktionsstandorts.
  2. Damit es im operativen Anforderungsmanagement nutzbringend ist, den Stakeholder Produktion als Requirements Owner seiner Umfänge in einer Datenbank einzurichten, ihm Dokumenten-Templates vorzubereiten usw., gibt es einige Voraussetzungen in der Produktions-Organisation.Wenn das nicht gegeben ist, ist man häufige schneller und weniger frustriert unterwegs, wenn erfahrene Kollegen aus Entwicklung oder Produktmanagement den Produktions-Stakeholder zu repräsentieren versuchen und sich ggf. über ihr persönliches Netzwerk Annahmen bezüglich Anforderungen der Produktion bestätigen lassen.Damit die Produktion direkt operativ in den RE-Prozess eingebunden werden kann, muss es eine Produktions-Strategie geben. Die Produktion muss sich über die eigenen Ziele, Kompetenzen und Möglichkeiten klar sein. Die Produktion muss wissen, welche Stellschrauben welche Auswirkungen haben, um sinnvoll mit der Entwicklung verhandeln zu können. Dieses Wissen ist oft schwer auffindbar vergraben (nicht anders als bei vielen anderen Stakeholdern). Folglich ist vielleicht erst mal eine RE-Initiative innerhalb der Produktions-Organisation angesagt. Ein erster Schritt kann ein generischer Anforderungskatalog der Produktion sein, der der Entwicklung Leitplanken gibt, innerhalb derer eine Produkt-Spezifikation mit den bestehenden Kompetenzen der Produktion voraussichtlich problemfrei, kosteneffizient und im Rahmen der Qualitäts-Standards der Firma produzierbar sein sollte. Abweichungen von dem Katalog sind aber nicht verboten, sondern Trade-Off, siehe 1.)