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2 December 2015 @ Christian Wünch

Von Zielen, Ideen und anderen Anforderungen

Die Produktentwicklung ist ein interessantes aber auch unbarmherziges Stück kultureller Evolutions- und Schaffensgeschichte inmitten technologieverwöhnter Gesellschaften.

Innerhalb dessen sind Visionen, Ziele, Wünsche, Ideen und Bedingungen die ersten elementaren Artefakte einer isolierten Gemeinschaft im Aufbruch. Es sind frühzeitige aber dennoch ausdrucksstarke Äußerungen und Zeugnisse innerhalb einer initialen Schaffungsphase entlang eines wechselhaften Entwicklungsprozesses.

Die Gemeinschaft selbst besteht dabei aus etablierten und anerkannten Rollen quer durch alle Bereiche der Gesellschaft. Es sind Anwender und Fachkräfte, Designer und Künstler, Administratoren und Techniker, Entwickler und Architekten, Ingenieure und Konstrukteure, Vertriebler und Controller und viele weitere Stakeholder, die ihren Beitrag beruflich leisten müssen und persönlich auch leisten wollen. Mit Aufbruch ist die planerische Absicht und Vorbereitung gemeint, einen Kulturgegenstand zum Zweck der internen Anwendung, kommerziellen Nutzung oder auch eigenen Profilierung zu schaffen oder weiterzuentwickeln: Ein Produkt (vertriebliche Sicht) oder System (technische Sicht).

Die Grundgesetze der Evolution gelten für alle gesellschaftlichen Gruppen und deren Produkte: Gute Konzepte setzen sich durch, schlechte bleiben auf der Strecke und geraten in Vergessenheit. Vormals geniale Errungenschaften werden durch konsequente (Ab)nutzung und Gewohnheit trivialisiert und für selbstverständlich erklärt. In Erkenntnis dieser Realität sind Gemeinschaften gezwungen, sich und ihre Erzeugnisse mit allen zukunftssicheren Eigenschaften auszustatten, um im Wettbewerb technologiegetriebener Zivilisationen nicht unter die Räder zu geraten. Rudimentäre Artefakte, also solche Visionen, Ziele, Wünsche und Ideen, stellen die ersten wichtigen Ausdrucksformen für eine derartige Gesundung dar und sollten entsprechend behandelt werden. Eine Gemeinschaft definiert sich über Ihre Produkte und Erzeugnisse. Der Wettstreit dieser Produkte ist ein Wettstreit gesellschaftlicher Gruppen und ein Wettstreit der Ideen.

So wie sich eine Gemeinschaft nach außen behaupten und entwickeln muss, sollte sie daher auch ihre interne Produktentwicklung vorantreiben. Wer in die Zukunft blicken will, muss sich mit seinen Ideen auseinandersetzen. Vor dem Hintergrund der natürlichen Auslese sollten Artefakte deshalb nach allen Möglichkeiten hin erarbeitet, also entwickelt werden; ersonnen, analysiert, hinterfragt, geschlussfolgert und erlebt. Einfaches Sammeln von Ideen und ähnlichen Artefakten ist längst nicht ausreichend. Man nimmt ihnen die Möglichkeiten, sich zu messen und zu wachsen.

Eine Entwicklung selber beginnt eben nicht erst mit der Arbeit am Produkt, sondern schon vorher: Bei der Arbeit für das Produkt. Ein gebührender Umgang mit ihren Wünschen und Ideen versorgt eine Gemeinschaft mit den Eigenschaften, die sie für eine gesunde Existenz benötigt. Orientierung, Inspiration, Imitation und Agilität. Durch solche Werte angetrieben wird die Weiterentwicklung einer Gemeinschaft und ihrer Produkte zum Findungs- und Verwirklichungsprozess.

Genau diesen Weg vermisse ich bei vielen Entwicklungsprojekten. Ziele, Ideen, und Wünsche werden in übertriebener Eile gesammelt. Vieles bleibt dabei unerkannt, vieles bleibt unausgereift. Viele dieser Ideen sind dem Evolutionsdruck nicht gewachsen und verkümmern bzw. gehen direkt in die triviale Masse über.

Nennen wir diese Artefakte einfach Anforderungen, denn genau das sind sie. Sie alle verstehen sich als Anforderungen an ein Produkt. Der Begriff passt hervorragend, denn er möge uns daran erinnern, dass all diese Artefakte, also Wünsche, Ziele, Ideen, Bedürfnisse, Einschränkungen und Bedingungen tatsächlich auch erforderlich sind, damit wir Produkte erschaffen, die die kommenden Generationen lange begleiten dürfen und evolutionsgeschichtlich auf einen langen Ahnenschatz zurückblicken können.

In diesem Sinne wünsche ich frohes Ermitteln.

Christian Wünch

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Christian Wünch ist Consultant, Trainer und Coach bei der HOOD Group. Er berät unterschiedlichste Branchen aus Wirtschaft und Industrie auf den Gebieten der Systemanalyse und des Requirements Engineering. Seine Schwerpunkte liegen in der Analyse und Verbesserung von Systementwicklungsprozessen, RE-Einführungsstrategien sowie Requirements Management. Neben regelmäßigen Vorträgen und Veröffentlichungen für Konferenzen und Fachpresse zum Thema RE beschäftigt er sich mit den Möglichkeiten der Formalisierung von Anforderungen und sucht nach Wegen, natürlichsprachige Anforderungen für Systeme und Menschen verständlicher zu machen.